sniperDer Gerichtsprozess in Kiew zum Maidan-Massaker am 20. Februar 2014 fördert immer deutlicher zutage: Rechtsextreme Kräfte feuerten die tödlichen Schüsse ab, um einen Vorwand für den prowestlichen Staatsstreich in der Ukraine zu schaffen.

Am 20 Februar 2014 starben rund hundert Menschen am Maidan in Kiew im Kugelhagel von Heckenschützen. Die „Euromaidan“-Aktivisten machten sofort den ukrainischen Präsident Janukowitsch für dieses Massaker verantwortlich, westliche Medien und Regierungen schlossen sich dieser Sichtweise an. Der „Rechte Sektor“ und andere neofaschistische Milizen nutzten die Gunst der Stunde zum Sturz der Regierung Janukowitsch. EU und USA begrüßten den Putsch, konnte doch damit rasch eine neue Regierung ins Amt gehievt werden, die das EU-Ukraine-Assoziationsabkommen, gegen das sich die alte Regierung gewehrt hatte, rasch unterschrieb. Dieses Assoziationsabkommen sichert westlichen Konzernen den Zugang zum ukrainischen Markt und bindet die Ukraine militärisch an die EU an. Kritik an diesem Staatsstreich wurde sofort mit dem Verweis auf den „Schlächter“ Janukowitsch im Keim erstickt, obwohl dieser stets bestritt, einen Schussbefehl an die Berkut-Einheiten (Sonderpolizei des Innenministeriums) gegeben zu haben.

Estischer Außenminister äußerte schon bald Zweifel

Schon bald kamen Zweifel an dieser Version auf. In einem geleakte Gespräche mit der EU-Beauftragten Cathrine Ashton äußerte der Außenminister Estlands Urmas Paet schon kurz nach dem Putsch den Verdacht, „dass hinter den Scharfschützen nicht Janukowitsch, sondern jemand aus der Koalition (der Janukowitsch-Gegner, Anm.d.Red.) gestanden habe“ (zit. nach FAZ, 5.3.2014). In Folge versiegte jedes Interesse der neuen Machthaber in Kiew und deren westlicher Unterstützer, den Ereignissen des 20. Februars 2014 auf den Grund zu gehen.

Studie eines Professors der Universität Ottawa

Es ist der jahrelangen akribischen Arbeit von Ivan Katchanovski, einem gebürtigen Westukrainer und Universitätsprofessor an der kanadischen Universität Ottawa, zu verdanken, dass viele Monate später erstmals mehr Licht ins Dunkel kam. Nach Auswertung von Unmengen an Dokumentationsmaterial (Videoaufnahmen, Fotos, Zeugenaussagen, Funksprüche, usw.) kam er zum Ergebnis, dass die Mehrheit der tödlichen Schüsse von jenen Gebäuden abgefeuert wurden, die unter Kontrolle des „rechten Sektors“ standen – und nicht von den Berkut-Einheiten. Katchanovski kommt zum Schluss, dass „auch Anführer der Vaterlandspartei (der damaligen Partei des späteren Premierminister Jazenjuk, Anm.d.Red.) in das Massaker verwickelt waren.“

Ballistik-Bericht des Generalstaatsanwalts

Die gerichtliche Aufarbeitung des Massakers, die aufgrund des Widerstands der ukrainischen Regierung nur schleppend vorankommt, fördert  ähnlichen Ergebnisse zutage wie die Studie Kachanovskis. Die Untersuchungen des Generalstaatsanwalts (GPU) erbrachten keinerlei Beweise, dass die Einheiten von Janukowitsch für die Morde verantwortlich waren. Ein Ballistik-Bericht der Staatsanwaltschaft ergab bereits 2015, dass nicht ein einziges Projektil, das aus getöteten Demonstranten entfernt wurde, mit Kugel-Proben von Berkut-Kalaschnikows übereinstimmte. Diese Analyse wurde mithilfe eines computergestützten Systems zur automatisierten Schusswaffenidentifizierung (IBIS) vorgenommen.

Zeugenaussagen von über 100 Personen

Die Ergebnisse des Gerichtsprozesses bestätigen auch die Analysen des kanadischen Professors, dass die Schüsse von den rechten Putschisten selbst abgefeuert wurden. Die Zahl der ZeugInnen, die im Gerichtsprozess, aber auch in Medieninterviews und sozialen Netzwerken aussagten, Scharfschützen in den vom Maidan kontrollierten Gebäuden gesehen zu haben, sei mittlerweile auf über 100 Personen gestiegen, erläuterte Katchanovski. 27 von 28 an der Institutska getöteten Maidananhängern und die absolute Mehrheit der Verletzten sei aus signifikant vertikalen Winkeln erschossen worden. Die Barrikade weiter hinten auf der Straße, von der Berkut-Polizisten feuerten, befand sich jedoch auf nahezu gleicher Höhe mit den Maidankämpfern.

Generalamnestie für Mörder

Der einzig bislang bekannte Todesschütze ist der rechtsextreme Maidankämpfer Ivan Bubentschik. Er gestand in Interviews, dass er am Morgen des 20. Februar mit einem Kalaschnikow-Sturmgewehr zwei Berkut-Kommandeure vom Musikkonservatorium aus erschossen und viele weitere Polizisten verwundet hatte. Bubentschik braucht jedoch unter der prowestlichen Regierung in Kiew keine Strafverfolgung zu fürchten, da diese ein Generalamnestie für Maidankämpfer erließ. Bubentschik kommandiert heute das Bataillon Zakhid-2, das aus Mitgliedern des Rechten Sektors gebildet wurde und im Donbass kämpft.

Kartenhaus bricht zusammen

Die ukrainische Regierung boykottiert die Aufklärung über die blutigen Ereignisse am Maidan nach Kräften – und westliche Medien ignorieren die Erkenntnisse dieser Aufklärung so gut sie können. Der Grund ist offensichtlich: Sollte einer breiteren Öffentlichkeit bewusst werden, dass das Massaker am Maidan von rechtsextremen Kräften selbst verübt wurde, um einen Vorwand für den prowestlichen Staatsstreich zu schaffen, würde schlagartig die Legitimation für diesen blutigen Umsturz wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Mehr noch: EU und USA selbst würden am Pranger stehen, da sie lange vor dem Staatsstreich bereits intensive Kooperationen mit diesen neofaschistischen Kräften in der Ukraine entwickelt hatten, um den „Regimechange“ vorzubereiten. Eine EU-Polizeimission kooperiert seit 2015 mit dem ukrainischen Innenministeriums, dem rechtsextreme, offen antisemitische Milizen unterstellt sind.
(März 2017)

Quellen:

Wer mordete am Maidan (Teil I)
http://www.solidarwerkstatt.at/index.php?option=com_content&view=article&id=1479:wer-mordete-am-maidan-2&catid=48&Itemid=224

Woher kamen die Todesschüsse? (Telepolis, 20.2.2017)
https://www.heise.de/tp/features/Woher-kamen-die-Todesschuesse-3630949.html?view=print