G1 Gewinne Loehne langfristig 1Bundeskanzler Christian Kern ist zweifellos talentiert – im Hakenschlagen. Das zeigt auch das neue Regierungsprogramm. Gab sich der Kanzler zunächst gewerkschaftsnah, ist er nun auf die Linie der Unternehmerverbände eingeschwenkt: Anstelle von Wertschöpfungsabgaben zur Finanzierung des Sozialstaats sollen weitere Lohn(neben)kostensenkungen zugunsten der exportorientierten Großindustrie kommen.

Im Herbst 2016 profilierte sich der Bundeskanzler noch als wackerer Kämpfer gegen das Freihandelsabkommen CETA, ließ sich sogar diese Linie von einer großen Mehrheit der Parteibasis bestätigen. Doch punktgenau zur entscheidenden Abstimmung in Brüssel im Oktober 2016 fiel Kern um und gab grünes Licht für CETA. Eine ähnlichen Haken schlägt der Kanzler mit dem nun vorliegenden neuen Arbeitsprogramm der Regierung. Als Kern als neuer Kanzler antrat, startete er eine grundvernünftige Debatte um Wertschöpfungsabgaben, um den Sozialstaat nachhaltig finanzieren zu können. Das sicherte ihm das Wohlwollen der Gewerkschaft. Mit dem nun vorliegenden Arbeitsprogramm hat Kern auch diesbezüglich einen scharfen Haken nach rechts geschlagen. Anstelle von Wertschöpfungsabgaben zur Sicherung des Sozialstaats hat die Kanzlerpartei die Parole der Unternehmerverbände übernommen: „Lohnnebenkostensenkung“ zur „Standortsicherung“. Das sichert ihm das Wohlgefallen von Industriellenvereinigung und EU-Kommission, die andauernd in diese Richtung Druck machen. „Lohnnebenkostensenkung“ ist letztlich Lohnraub, der auf jene Lohnbestandteile abzielt, die der Finanzierung des Sozialstaats dienen (Pensions-, Kranken-, Unfall-, Arbeitslosenversicherung, usw.).

Lohnnebenkostensenkung = Sozialabbau

Im neuen SP/VP-Arbeitsprogramm heißt es dazu: „Nach der schrittweisen Senkung der Lohnnebenkosten im Ausmaß von 1 Milliarde Euro werden die Lohnnebenkosten noch einmal gesenkt. Dazu wird ein Beschäftigungsbonus für die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze eingeführt.“ Konkret soll für jeden „neu geschaffenen Arbeitsplatz“ drei Jahre lang die Lohnnebenkosten halbiert werden. Dass dadurch tatsächlich neue Arbeitsplätze geschaffen werden, ist ziemlich unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass teurere Beschäftigte durch billigere ersetzt werden. Das wird umso leichter gehen, als auch der Kündigungsschutz für ältere ArbeitnehmerInnen geschleift werden soll. Und dass – womöglich – ein Mindestlohn von 1.500 Euro kommt, verschmerzt die Großindustrie locker, wenn ihr gleichzeitig über den 12-Stundenarbeitstag die Möglichkeit zu weiterem Lohnraub offeriert wird. AK-Chef Kaske spricht von 1,3 bis 1,5 Milliarden Lohnverlust durch diese Arbeitszeitflexibilisierung. Auch andere Maßnahmen im Regierungsprogramm, wie etwa die Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen für AlleinerzieherInnen, sorgen für billigen Arbeitskräftenachschub.

Scharfe Umverteilung von Arbeit zu Kapital seit dem EU-Beitritt

Die Debatte um die angeblich „zu hohen Lohn(neben)kosten“ und die dadurch „sinkende Wettbewerbsfähigkeit“ Österreichs beruht nicht auf Fakten. Im Gegenteil: Diese Debatte soll verschleiern, dass in Österreich seit dem EU-Beitritt eine scharfe Umverteilung von Arbeit zu Kapital stattgefunden hat. Einige Zahlen und Fakten:

Erstens: Seit dem EU-Beitritt öffnet sich eine deutliche Schere zwischen Löhnen und Gehältern einerseits und Gewinnen andererseits (sh. Grafik 1). Addiert wurde seit Mitte der 90er Jahre über 150 Milliarden Euro, das entspricht fast dem halben Bruttoinlandsprodukt eines Jahres, in diesem Zeitraum von Arbeit zu Kapital umverteilt. Die Arbeiterkammer hat dazu eine interessante Berechnung angestellt. Hätte 2014 diese Verteilung zwischen Arbeit und Kapital wie 1994 gegeben, hätte jede/r Arbeitnehmer 3.200 Euro (einschließlich Lohnnebenkosten) mehr bekommen. Das entspricht in etwa dem Wert von drei zusätzlichen Urlaubswochen im Jahr, die den ArbeitnehmerInnen vorenthalten werden.
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Zweitens: Die hochheilige „Wettbewerbsfähigkeit“ bemisst sich nicht an der Höhe der Lohnkosten, sondern am Verhältnis der Lohnkosten zur Produktivität, den sog. Lohnstückkosten. Auch hier ergibt sich ein eindeutiges Bild: Zwischen 1995 und 2015 stiegen die Bruttolöhne je Arbeitsstunde real um 14%. Die Arbeitsproduktivität je Arbeitsstunde wuchs in diesem Zeitraum dagegen um 32%, also dem mehr als Doppelten (sh. Grafik 2) .
G2 Produktivitaet Loehne
Drittens: Noch stärker als die Gewinne sind die Gewinnentnahmen der Kapitalgesellschaften nach oben geschnellt. Das vor kurzem von der AK veröffentlichtes Wertschöpfungsbarometer, das über 1.000 Groß- und Mittelbetriebe untersucht, belegt diese Entwicklung. Zwischen 2005 und 2015 stiegen die die durchschnittlichen Pro-Kopf-Personalaufwendungen nominell um ca. 20%, die Gewinnausschüttungen an die Eigentümer jedoch um über 50%, als das zweieinhalb-fache. Für die Wirtschaftsentwicklung ist dieses Dividendenfeuerwerk offensichtlich kontraproduktiv, denn die Sachinvestitionen nahmen in diesem Zeitraum nominell gerade einmal um 10% zu. Inflationsbereinigt stagniert damit die Investitionsleistung (sh. Grafik 3). Zuletzt hat sich dieser Trend deutlich verstärkt. Von 2014 auf 2015 stiegen die Gewinnausschüttungen um das mehr als Vierfache (plus 9,6%) im Vergleich zu den Pro-Kopf-Personalaufwendungen (plus 2,3%). Über 71 Prozent, also fast drei Viertel aller Einkommen aus  Gewinnausschüttungen und Zinsen fließen an das oberste Zehntel der Haushalte.
wertschoepfungsbarometer 2015Viertens: Auch der internationale Vergleich zeigt, dass Österreich innerhalb des Euroraums die längste Zeit eine Lohndumpingpolitik betrieben hat, die nur noch durch Deutschland (mit der Hartz IV-Politik) übertroffen wurde. Die Entwicklung der Lohnstückkosten bewegte sich zu jedem Zeitpunkt deutlich unter den durchschnittlichen Lohnstückkosten der Währungsunion (sh. Grafik 4: Österreich = zweite Linie von unten; BRD = unterste Linie). Wir leben also nicht über, sondern unter unseren Verhältnissen. Die Profiteure dieser Lohnkostenzurückhaltung sind die exportorientierten Großkonzerne. Die VerliererInnen sind einerseits die ArbeitnehmerInnen und auch viele KMU in Österreich, andererseits die Wirtschaft in den süd/osteuropäischen Euro-Staaten, die durch diese Lohndumping-Konkurrenz (im Windschatten der deutschen Großindustrie) niederkonkurriert wurden – mit den bekannt fatalen Folgen.
Lohnstueckkostenentwicklung Eurozone Oesterreich 1998 bis 2015
Wertschöpfungsabgaben für Sozialstaat!

Diese Statistiken entlarven das „Lohnnebenkostensenkungsprogramm“ von Bundeskanzler Kern als Liebdienerei für die exportorientierte Großindustrie – und als Liebäugeln mit Parteien, die eine besonders radikale Senkung der Lohnnebenkosten fordern - wie FPÖ und Neos. Zu Gewerkschaft und AK geht Kern demonstrativ auf Distanz. Über SPÖ-Geschäftsführer Niedermühlbichler lässt er diese öffentlich als „größte Bremser“ abkanzeln.

Es wird Zeit, dass die Gewerkschaften ihrerseits auf Distanz zum Hakenschlager im Bundeskanzleramt gehen. Wir brauchen nicht niedrige Lohn(neben)kosten, sondern eine Umverteilung von oben nach unten, insbesondere höhere Abgaben auf die gesamte Wertschöpfung, einschließlich Gewinnen und Abschreibungen. Nur so können wir dafür sorgen, dass die enorm gestiegene industrielle Produktivität nicht in steigender Arbeitslosigkeit, wahnwitzigen Exportschlachten oder parasitärem Luxuskonsum verpulvert, sondern in sozial sinnvolle Bahnen gelenkt wird: in soziale Sicherheit, Verbesserung von Gesundheit und Pflege, mehr Geld für Bildung, sozialen Wohnbau, kommunale Dienstleistungen, umweltfreundliche Mobilität, usw. Den armen Staat können sich bekanntlich nur die Reichen leisten.

Gerald Oberansmayr
(15.2.2017)

Quelle Grafiken:

Grafik 1: Statistik Austria, AK Salzburg
https://media.arbeiterkammer.at/sbg/pdf/broschueren/AK_Studie_Wir_wollen_Gerechtigkeit_1.pdf

Grafik 2:
https://media.arbeiterkammer.at/sbg/pdf/broschueren/AK_Studie_Wir_wollen_Gerechtigkeit_1.pdf
Quelle: Statistik Austria (September 2016), inflationsbereinigter Bruttoverdienst pro Stunde, reales BIP pro Stunde. Berechnung Csoka, B.(AK Oberösterreich)

Grafik 3:
Wertschöpfungsbaromether 2015, AK OÖ
https://media.arbeiterkammer.at/ooe/presseunterlagen/wertschoepfungsbarometer/PKU_26.01.2017_Wertschoepfungsbarometer.pdf

Grafik 4:
EU-Kommission
Quelle (AMECO-Datenbank 10.9.2015), eigene Berechnungen der Arbeiterkammer, http://blog.arbeit-wirtschaft.at/eurozone-lohnwettbewerb/