wohnen max werdenigg webWohnungspolitik ist keine unmittelbare EU-Materie. Trotzdem hat Wohnungspolitik einiges mit dem EU-Beitritt zu tun. Zum Beispiel dadurch, dass eine soziale Wohnungspolitik auf sozialen Wohnbau angewiesen ist, der öffentliches Geld kostet. Und spätestens hier kommt die von der EU oktroyierte Austeritätspolitik ins Spiel, für die seit 1995 ein Sparpaket nach dem anderen geschnürt wird. Deren Auswirkungen auf den sozialen Wohnbau sind beträchtlich. Hier einige Zahlen:

 
Sozialer Wohnbau seit EU-Beitritt halbiert

Bis Mitte der 90er Jahre stieg der geförderte Wohnbau noch deutlich, seit dem EU-Beitritt erleben wir aber einen kontinuierlichen Rückgang (sh. Grafik 1). Im Jahr 1995 wurden knapp 30.000 Wohnungen im geförderten Geschoßbau errichtet. 2013 waren es nur mehr rd. 15.000. Ein Rückgang um fast 50%. 2015 kam es mit rd. 18.000 Wohnungen zwar wieder zu einem leichten Anstieg, doch bereits in den nächsten Jahren wird es wieder zu einem markanten Einbruch kommen. Laut Prognose des Verbandes gemeinnütziger Bauvereinigungen (GBV) wird sich in den nächsten Jahren alleine in Wien der geförderte Wohnungsneubau halbieren. Österreichweit wird 2016 mit einem Rückgang auf rd. 14.000 neuerrichtete Wohnungen gerechnet (minus 22% gegenüber 2015). 

Der Anteil der geförderten Wohnungen an allen Wohnungen ist dramatisch geschrumpft: Betrug der Anteil der geförderten Wohnungen bzw. Eigenheime 1995 noch rd. 85% aller neu errichteten Wohnbauten, so waren es 2015 nur mehr 46%! (Siehe Grafik Neuerrichtete Wohnungen)

Wohnbau Sozialer 2015 Grafik 1Mieten steigen – Löhne sinken

Gleichzeitig steigt aufgrund der wachsenden Bevölkerung und gewandelten Wohnformen der Bedarf an Wohnraum. Wenn mehr Nachfrage auf ein zurückhinkendes Angebot trifft, bedeutet das steigende Wohnungskosten. Und das trifft vor allem jene besonders hart, die seit dem EU-Beitritt auch einkommensmäßig vom Wirtschaftswachstum abgehängt werden: Das durchnittliche Nettorealeinkommen eines Arbeitnehmers ist zwischen 1998 und 2014 um 4% gesunken, das des untersten Einkommenszehntels (1. Dezil) gar um 35%. Gleichzeitig sind die Wohnungskosten je Quadratmeter (Miete plus Betriebskosten) in diesem Zeitraum inflationsbereinigt um 15% gestiegen. (Siehe Grafik Einkommen Arbeitnehmer/Wohnungskosten)

Die Folge: Ärmere Haushalte müssen einen immer größeren Anteil ihres Haushaltseinkommens für die Wohnung berappen: Im Jahr 2005 waren es 35%, im Jahr 2013 bereits  43%. (Siehe Grafik 3)

Immer mehr Haushalte geraten in Zahlungsschwierigkeiten. Laut Statistik Austria haben 200.000 Haushalte (rd. 8% aller Haushalte) „wohnungsbezogene Zahlungsschwierigkeiten“. D.h. sie haben Probleme, Mieten, Betriebskosten, Wohnungsnebenkosten oder Wohnungskredite abzudecken. Wie stark Löhne und Mieten auseinanderlaufen zeigt eine andere Untersuchung: In Wien etwa hat sich die Anzahl der Stunden, die ein/e Industriearbeiter/in mit durchschnittlichem Einkommen für eine 70 Quadratmeter Mietwohnung der Kategorie A arbeiten muss, von 31 Stunden pro Monat im Jahr 1990 auf 40 Stunden pro Monat im Jahr 2013 erhöht (1). Das heißt: Diese/r durchschnittliche Arbeiter/in muss heute um beinahe 30 Prozent länger für die gleiche Wohnung arbeiten. In dieser Vergleichsrechnung wurden alle Mietwohnungen einbezogen. Da jedoch die privaten Mieten seit beinahe einem Jahrzehnt weit überproportional steigen, ist der Wert dort sicherlich deutlich höher. (Siehe Grafik 3)

Insbesondere junge Menschen, die am Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen können, trifft es brutal. Immer mehr droht Wohnungs- und Obdachlosigkeit. Die Wiener Wohnungslosenhilfe musste ihre Kapazitäten in der vergangenen Dekade verdoppeln, von rund 2500 Plätze n auf 5150 im Jahr 2014. Die Zahl der Kunden des Fonds Soziales Wien ohne Wohnung und Obdach stieg innerhalb der vergangenen fünf Jahre von 8200 auf 9800. (2)

EU-Kommission auf Seiten des Immobilienkapitals

Wohnungskosten LhneGrafik 2 VergleichDie Drosselung des Sozialwohnbaus ist jedoch nicht nur Folge der Sparpolitik, sie ist auch deklariertes Ziel der EU-Kommission, die auch im Wohnungsbereich den neoliberalen „freien Markt“ favorisiert und alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzt, um diesbezüglich Einfluss auf die Wohnungspolitik der EU-Mitgliedsstaaten zu nehmen, obwohl diese grundsätzlich noch in nationaler Kompetenz liegt. So wurden etwa in den Niederlanden durch eine Intervention der EU-Kommission die Einkommensgrenzen für den Zugang zum sozialen Wohnungsmarkt so abgesenkt, dass 650.000 Haushalten der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum seither verwehrt bleibt. 

Der „Verein für Wohnbauförderung“ konstatiert daher: „Für die niederländische Wohnbauförderung bedeutet diese Entscheidung die Abkehr von ihrer breiten Definition des sozialen Wohnbaus. Es schließt rd. ein Viertel der heutigen Mieter vom geförderten Wohnungsbestand aus, womit die soziale Durchmischung der Wohnquartiere insgesamt zur Disposition steht. In eine ähnliche Richtung geht der Beschluss der EU-Kommission – im Dezember 2011 - zur Anwendung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Darin wird der soziale Wohnbau‚ auf die Bereitstellung von Wohnraum für benachteiligte oder sozial schwache Bevölkerungsgruppen, die nicht die Mittel haben, auf dem freien Markt eine Unterkunft zu beschaffen’, definitorisch eingeengt.“ (3) Sozialer Wohnbau und erschwingliche Mieten sollen einer breiteren Bevölkerungsschicht damit verwehrt werden. 

Wohnungskosten Anteil Grafik 3 HaushaltseinkommenDie AK berichtet in ihrer Zeitung „Arbeit und Wirtschaft“, dass nach einer Beschwerde der schwedischen Hauseigentümervereinigung Schweden ab 2011 von der EU-Kommission zu einer Abkehr vom öffentlich geförderten Wohnbau gezwungen wurde, denn dieser „sei wettbewerbsverzerrend, weil es das Mietzinsniveau drücke… Konsequenz der EU Intervention ist, dass derzeit keinerlei öffentliche Mittel in den Wohnbau fließen und dieser weit hinter den Bedarf zurückgefallen ist. Derzeit wartet man in Stockholm bzw. Göteborg zwischen zehn und 20 Jahren auf eine Gemeindewohnung.“ (4) Die Wohnungskosten sind seither deutlich gestiegen. Für die EU-Kommission offensichtlich noch immer zu wenig. Im Rahmen des „Europäischen Semesters“ mahnte die EU-Kommission 2015 von Schweden eine Deregulierung des Mietrechts ein, um „ein stärker marktorientiertes Mietniveau zu ermöglichen“. Sprich: die Mieten noch stärker in die Höhe treiben zu können.

Auch hier zeigt sich: Das EU-Konkurrenzregime unterstützt die wirtschaftlich Mächtigen, in diesem Fall das Immobilienkapital, und steht in völligem Gegensatz zu einer Sozialpolitik, die allen Menschen ein Leben in Würde ermöglicht. Denn dazu gehört auch qualitativ guter und erschwinglicher Wohnraum für alle. Genau das kann aber der private Wohnungsmarkt nicht gewährleisten.


Quellen:
Wirtschaftsblatt, 20.1.2015
Profil, 30.1.2016
Verein für Wohnbauförderung, Der soziale Wohnbau in Österreich und die EU-„Wohnungspolitik“, 2013
http://blog.arbeit-wirtschaft.at/der-soziale-wohnbau-und-das-eu-wettbewerbsrecht/, 20.3.2014