sackgasse euBericht von der bemerkenswerten ATTAC-Konferenz "Sackgasse EU - Wie kommen wir das raus?" am 18./19.11.2016 in Wien. 


An die 150 Menschen versammelten sich auf Einladung von Attac-Österreich im November in der VHS Margarethen, um über die aktuelle Entwicklung in der EU zu beraten. Die Ergebnisse dieser Konferenz sind vor allem deshalb bemerkenswert, weil ATTAC selbst bis vor kurzer Zeit an den Vorstellungen einer demokratischen und solidarischen Umgestaltung der EU festgehalten hatte. Es war, wie Lisa Mittendrein, Vorstandsmitglied von ATTAC Österreich, ausführte, vor allem die Erfahrung der Strangulation der Syrizaregierung und der Umgang mit den flüchtenden Menschen 2015-16, die zu einem Umdenken führten. Lisa Mitendrein kam so zum Schluss, dass „…innerhalb der EU keine progressive Politik im breiten Sinn mehr möglich ist.“ Mittendrein hat auch keinen Zweifel, dass sich z. B. die FPÖ mit der EU arrangieren wird.

Aus einer Publikumsumfrage ging hervor, wie sehr das Vertrauen in die großen Versprechungen der Promotoren der EU-Integration in der Zwischenzeit geschmolzen ist. Auf einer Bewertungsskala von 0 bis 10 erhielt die Aussage „Die EU bringt Wohlstand für Alle“ nur eine Note von 0,5, „ein soziales Europa ist ein Ziel der EU“ bekam die Note 1. Auch die Aussagen „die EU ist ein Friedensprojekt“, „nur mit der EU können wir die Globalisierung in unserem Sinn gestalten“ und „die EU stellt die Überwindung des Nationalismus dar“ blieben mit Noten zwischen 3 und 4 deutlich unter dem Mittelwert. Es dürfte tatsächlich große Hoffnungen auf die Einleitung einer Wende durch die linke Syrizaregierung in Griechenland gegeben haben, die quasi durch einen Dominoeffekt die Krisenagenda in eine emanzipatorische Richtung verschieben könne. 

"Mehr Europa" = mehr Neoliberalismus

Joachim Becker verglich die aktuelle Desintegration in der EU mit der Situation Jugoslawiens 1988. Er skizzierte verschiedene Szenarien für die weitere Entwicklung, wobei er ein Weiterwursteln wie bisher oder, falls dies tatsächlich nicht mehr möglich ist, eine „Vertiefung im Kern“ als die realistischsten Varianten sah. Als Alternativstrategie benannte er die Herausforderung bestimmter Politikfelder auf europäischer Ebene mit dem Austritt aus Euro und EU als letzter Konsequenz. Angestrebt werden sollte eine friedliche, vertragliche Auflösung, wie die zwischen Tschechien und der Slowakei in den 1990er Jahren.

Ralph Guth, Alexandra Strickner und Valentin Schwarz lieferten in 9 Thesen eine Zusammenfassung der bisherigen Diskussion. Sie hielten fest, dass „mehr Europa“ unter den Bedingungen der EU mehr Neoliberalismus bedeutet und in diesem Sinn, die Forderung nach Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion als Drohung aufgefasst werden muss. Als mögliche Szenarien für die weitere Entwicklung wurden ein weiterer Zerfall durch unkontrollierten Regelbruch, eine völlige Lähmung oder eine autoritäre Vertiefung zur Herstellung von Handlungsfähigkeit skizziert, wobei keine dieser Szenarien begrüßt werden können. Auch bezüglich kurrenter alternativer Projekte wie z.B. dem DiEM25 Projekt Varoufakis‘, oder der Forderung nach einem Konvent, zeigten sich die ReferentInnen skeptisch. Es sind Forderungen nach Transparenz und Demokratie „im luftleeren Raum“. 

Grieichische Tragödie nicht permanent wiederholen

Als Handlungskonsequenz wurde ähnlich wie bei J. Becker das Zusteuern auf Brüche in konkreten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen formuliert. Dies entspricht auch der Strategie der Solidarwerkstatt. Es geht nicht darum die Forderung nach EU-Austritt wie eine Monstranz vor sich herzutragen oder sie zur Vorbedingung für Bündnisse in konkreten Kämpfen zu machen. Freilich, auf Brüche zuzusteuern, ohne darüber zu reden, was das in Konsequenz bedeutet oder bedeuten kann, ist auch ein Unding. Das hieße, sich selbst dazu zu verdammen, die griechische Tragödie permanent zu wiederholen. Die Konferenz war jedenfalls ein ermutigender Schritt zu einer aufgeklärteren Sicht auf die EU, auch wenn es bezüglich der Konsequenzen noch einiger Tabubrüche bedarf.

Boris Lechthaler
(Dezember 2016)