schoegler johannJohann Schögler, Mitbegründer der Steirischen Friedensplattform und unermüdlicher Aktivist in vielen sozialen Bewegungen, ist am 29. Oktober im 66. Lebensjahr nach kurzem, schweren Leiden verstorben. Ein Nachruf von Franz Sölkner.


Wer in den letzten Jahrzehnten sich im Raum Graz politisch im Zusammenhang der Themen Demokratie, Frieden, Menschenrechte, globale soziale Gerechtigkeit, ArbeitnehmerInnenrechte und ökologische Nachhaltigkeit engagiert hat, deren oder dessen Wege mussten sich über kurz oder lang unvermeidlich mit jenen von Johann Schögler kreuzen.

Johann war ein hochgradig politischer Kopf, in den Worten des altgriechischen Philosophen Aristoteles, ein „zoon politikon“, ein im besten Sinn des Wortes „politisches Tier“. Wie vielen von uns, die wir in den ersten Jahrzehnten nach der Barbarei des Nationalsozialismus geboren, sozialisiert und politisiert wurden, war er tief geprägt vom „Nie Wieder!“ und dem damit im Zusammenhang stehenden Wissen um die Notwendigkeit der Gestaltung einer global solidarischen Politik. Johanns konkreter programmatischer Zugang zu dieser Politik war geprägt von der linken Tradition der französischen Aufklärung und der Denkschule des Marxismus: Die herrschenden Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln sollten so umgestaltet werden, dass es den Menschen ermöglicht wird, an allen sie betreffenden Entscheidungen aktiv mitzuwirken und an den Ergebnissen der gemeinsamen Arbeit teilzuhaben.

Aufgeklärter homo politicus

Wie keine andere Person aus meinem Bekanntenkreis war Johann in aktuellen politischen Bewegungen präsent. Die Österreichischen Sozialforen hat er aktiv mitgeprägt, bei Europa-Sozialforen war er regelmässiger und bei Weltsozialforen mehrmaliger Teilnehmer. Die Gründung von zwei steirischen Vereinen ging wesentlich auf seine Initiative zurück – die Steirischen Friedensplattform und die Linke Steiermark. Von diesen organisatorischen Basislagern aus war er unermüdlich am Vernetzen von programmatisch ähnlich gesinnten Menschen und Gruppen von AktivistInnen. In diesem Sinn hat er sich in den letzten Monaten auch noch beim Versuch eingebracht, österreichweit unter Namen „Aufbruch“ und dem Slogan „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten!“ eine linke Sammlungsbewegung auf die Beine zu bringen. Den üblichen Mustern einer Politik von oben, setze er - in immer wieder neuen Anläufen - seine Version einer von vielen aktiven GesinnungsgenossInnen getragenen Politik von unten entgegen.

Und sich aus konkreten Anlässe zusammen zu tun und sich gemeinsam zu wehren, bestand ja wahrlich Jahr für Jahr mehr und mehr Bedarf. Beginnend mit dem Putsch gegen die linke Regierung in Chile 1973 kam es in den Folgejahren zu einem globalen Siegeszug des neoliberal enthemmten Kapitalismus. Im Westen Europas unterhöhlte dieser zunächst das moderatere Modell des sozialstaatlich abgefederten Kapitalismus und führte um 1990 zum Zusammenbruch des wirtschaftlich wenig effizienten und gesellschaftlich unattraktiven kommunistischen Gegenmodells. Im Interesse der Profitmaximierung einer mächtigen Minderheit fanden systematisch betriebene Privatisierungen, Deregulierungen, Abbau von Arbeitnehmerrechten und Kürzungen staatlicher Transferleistungen Eingang in die Regierungspolitiken aller Staaten. Zahlreiche Versuche die Macht des siegreichen Kapitals in Freihandelverträgen festzuschreiben und weiter auszubauen fanden in eingängigen Kürzeln ihren drohenden Ausdruck: GATS, MAI, NAFTA, CETA, TISA , TTIP, TIP, EPAs …..

Der nüchterne Blick

Die friedenspolitische Folge dieser aggressiv-kapitalistischen Entwicklung der globalen Wirtschaft und Gesellschaft waren weitreichend: Eine neue Weltunordnung, mehrere vom Westen initiierte Kriegszüge gegen nicht fügsame Regime im islamisch-arabischen Raum, Revolutionen in mehreren arabischen Staaten, gescheiterte Staaten in Afrika und Asien, nach einem vorübergehenden Rückgang in den 1990er-Jahren ein Allzeit-Rüstungshoch, das Heranschieben der Grenzen der EU und der NATO an die Grenzen Russlands und dessen erwartbare Gegenwehr ….

Hirn und Hand

Die nach dem Irakkrieg des Jahres 2003 gegründete Steirische Friedensplattform hat viele dieser Konflikte in internen und öffentlichen Diskussionen analysiert und ihre Standpunkte durch Flugblätter und Kundgebungen an die Öffentlichkeit zu bringen versucht. Johann war in all diesen Aktivitäten ein wichtiger Motor. Im Sinne des Vorwurfs von Karl Marx an den Ludwig Feuerbach, er und seine Philosophenzunft hätten „die Welt nur verschieden interpretiert; es komme aber darauf an, sie zu verändern“ hat Johann dabei konsequent die theoretische Arbeit an Schreibtisch mit der praktischen politischen Aktivität verbunden. In seiner konsequenten Handlungsorientierung war die häufige Lektüre kritischer Medien, die Recherche konkreter Fakten am PC und das Verfassen eines Flugblatttextes gleichwertig mit der Anlieferung der Tonanlage, dem Aufbau des Infostandes und mit dem flugblattverteilenden Zugehen auf die Leute in der Grazer Innenstadt.

Johanns Engagement in Friedensfragen war konkret. Mit uns verstand er Frieden als Frucht von Gerechtigkeit. In manifesten Unrechtsverhältnissen eine oberflächliche Versöhnungsrede anzustimmen lag ihm fern. Eine solidarische Parteinahme für die Opfer von Ungerechtigkeit und Gewalt war ihm eine Selbstverständlichkeit. Seine und unsere Positionierungen und Aktivitäten waren dann Versuche, die Gegner gewalttätiger Konfliktszenarios durch politische Unterstützung der unterdrückten Seite und entschiedenen Widerspruch gegen die Unterdrücker zunächst auf Augenhöhe zu bringen. Damit sollte ein Verhandlungsraum für einen dann verhandelbaren Ausgleich der Interessen geschaffen werden. Zentraler Bestandteil dieses Verständnisses von Friedensarbeit war dabei aber immer, im Prozess der Friedens die Unterdrücker auch aus ihrer selbstverstümmelnden Rolle der Übermächtigen mit zu befreien.

Kein Friede ohne Gerechtigkeit

Und weil die Frage der Gerechtigkeit fast immer jener des Friedens zugrunde und voraus liegt, bestand Johanns Bestreben zunächst immer darin, die je spezifischen Zusammenhänge zwischen gesellschaftlicher Krise und drohenden oder manifesten Zuständen des Unfriedens zu durchschauen. Nicht überrascht haben ihn daher die jeweiligen Versuche der herrschenden Eliten, das Bewusstsein der Menschen von den Krisenerscheinungen des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems durch Ausgrenzungen von Minderheiten und Feindbildproduktionen abzulenken. In gleicher Weise waren ihm die verstärkte Verbreitung von angstgetrieben Sicherheitsdoktrinen, die Ingangsetzung einer neuen Welle der Hochrüstung und des Waffenhandels und die wachsende Desorientierung vieler Menschen durch Konsumismus und zusammenhanglos servierte Informationshäppchen logisch erklärbare Phänomene des primär von den Metropolen des Westens ausgehenden und neoliberal entfesselten Herrschaft des Kapitals. Johann war nicht naiv genug um die global aggressiv-zerstörerischen Auswirkungen dieses Systems nicht zu sehen oder sie irgendwelchen mystisch-irrationalen Ursachen zuzuschreiben.

Mit großer Sorge hat Johann in den letzten 25 Jahren verfolgt, wie die USA und die EU über eine neokoloniale Wirtschaftspolitik und mittels der NATO ihre hegemonialen Interessen an die Westgrenze Russlands herangeschoben haben. Die Annexion der Krim durch Russland und der Separations- und Bürgerkrieg in der Ukraine, wären durch eine kluge, nicht von den Interessen westlicher Wirtschaftskreise gesteuerte Politik vermeidbar gewesen. Eine solch kluge Politik wäre auf die Stärkung aller ostmitteleuropäischen Staaten in ihrer Brücken-Funktion zu Russland auszurichten gewesen.

Dauerthema Nahost-Konflikt

Mit Johann einig waren wir uns auch in der Einschätzung der Notwendigkeit, im bitteren Dauerkonflikt zwischen Juden und Arabern um das historische Palästina,   öffentlich Stellung zu beziehen. Da wir dies in klarer Kritik an der jüdisch-nationalistischen Politik Israels und in einer grundsätzlichen Solidarität mit dem unterdrückten palästinensischen Volk taten, traf uns aus proisraelischen Kreisen wiederholt der Vorwurf des Antisemitismus. Die Grüne Akademie Steiermark ging dabei so weit, dass sie es seit zwei Jahren ablehnt, mit der Friedensplattform weitere gemeinsame Veranstaltungen durchzuführen. Was unsere KritikerInnen dabei offensichtlich nicht verstanden haben, ist die aus historischer Erfahrung gespeiste hohe Wahrscheinlichkeit, dass Israel längerfristig mit dieser Politik schweren Schiffbruch erleiden wird und dass die Verantwortung Europas aus dem Massenmord unserer Eltern- und Großelterngeneration an den europäischen Juden, u.a. auch darin besteht, der fortgesetzten ethnozentrische Groß-Israel-Politik im Interesse der israelischen Juden selbst internationalen politischen Widerstand entgegen zu setzen. Völlig unakzeptabel erschien und erscheint uns in diesem Zusammenhang etwa Kooperationen des Bundesheeres des neutralen Österreich mit einer Armee, die in den besetzten palästinensischen Gebieten seit 50 Jahren eine harte und permanent demütigende Besatzung   aufrechterhält und der völkerrechtlich illegalen Enteignung von Land- und Wasserrechten Vorschub leistet.

Lass Dich nicht täuschen von den Eigenen! (Christa Wolf)

Wie in diesem Fall adressieren wir unsere friedenspolitischen Forderungen meist an politischen Verantwortungsträger Österreichs und Europas. Häufig ist ja selbst die Politik unserer politischen Eliten - sei es aus Vorsatz oder Kurzsichtigkeit - mitverantwortlich für das, was wenige Flugstunden von hier mit brutaler militärischer Gewalt ausgetragen wird. Dies gilt auch für den aktuellen, von fremden Groß- und Regionalmachtinteressen überlagerten   Bürgerkrieg in Syrien. Die vor Jahren in großen Stückzahlen an das Assad-Regime in Syrien gelieferten Steyr-Mannlicher Sturm- und Scharfschützengewehre werden heute von allen Bürgerkriegsparteien in Syrien als Mordwerkzeuge eingesetzt. Und gerade weil wir zusammen mit Johann unserer eigenen Verantwortung für das, was innerhalb einer global vernetzten Welt scheinbar weit entfernt geschieht, nicht ausweichen wollen, ist es der Steirische Friedensplattform auch ein großen Anliegen bei dem von mehreren Friedensgruppen in Angriff genommenen Projekt der Erarbeitung eines „Rüstungsatlas Österreich“ mitzuarbeiten.

Mehr als eine Lücke

Der Tod von Johann ist für die friedenspolitische Arbeit in Österreich ein herber Verlust.

Fehlen wird er uns als ein uneitler Mitarbeiter, der bereit war sich der jeweils aktuellen friedenspolitischen Herausforderung unterzuordnen.

In den Konfliktanalysen und Diskussionen werden uns seine aus internationalen Qualitätsmedien – meist aus dem frankophonen Raum - bezogenen Informationen fehlen. Wie segensreich er gerade darin gewirkt hat, kann ich an mir selbst sehen. Er war es, der mir die regelmäßige Lektüre der monatlichen deutschen Ausgabe der Zeitschrift „Le monde diplomatique“ nahebrachte.

Fehlen werden uns etliche seiner guten Kontakte zu anderen links oder linksliberal gesinnten gesellschaftspolitischen Gruppierungen.

Fehlen wird uns sein kämpferisches Bewusstsein.

Fehlen wird uns seine Fähigkeit aus dem Stehgreif eine zehnminütige, an Fakten reiche Ansprache zu halten ohne dabei die Grammatik der deutschen Sprache auch nur ein einziges mal zu verletzen.

Fehlen wird er uns als Motivator und Motor, der uns immer wieder hinauszog zu jenen, die immer die Adressaten seiner politischen Bestrebungen waren und ohne die eine von ihm erträumte tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzung nicht gelingen kann: Die Menschen auf der Straße!

Stärken und Schwächen

Natürlich verlässt uns mit Johann Schögler kein fehlerfreier Mensch. „De mortuis nihil nisi bene!“ - über die Toten nur Gutes zu sagen, wie uns der altgriechische Philosoph Chilon nahelegt, das mag bei einem Menschen angebracht sein, der wenig starke Seiten vorzuweisen hatte. Bei einer Persönlichkeit des Kalibers von Johann Schögler ist eine solche Scheu nicht notwendig. Der Umgang mit ihm war nicht immer einfach. Auf dem programmatischen Boden der IV. Internationale stehend, war häufig sein Mangel an Fragen und ein Überschuss an Antworten auffallend.   Johanns Politikverständnis war grundsätzlich aktivistisch ausgerichtet. Nachdem ihm als Spätfolge einer 1980 unmittelbar vor seinem Gesicht explodierenden Tränengasgranate der Pariser Polizei im Jahr 2011 ein Auge entfernt werden musste, schien seine politische Umtriebigkeit sich noch einmal zu steigern. Als hätte er geahnt, dass seine Zeit bereits knapp bemessen war. Die Fähigkeit innezuhalten, sich auch einmal zurückzulehnen, mehr auf seine Befindlichkeit zu achten und auch öfter über ganz Persönliches zu reden, wäre ihm zu wünschen gewesen, schien ihm aber nicht möglich.

Nüchterne Hoffnung über den Tod hinaus

Es ist in säkularen politischen Bewegungen nicht üblich das Einzelschicksal über den Tod hinaus zu denken. Und doch ist angesichts des Todes auch für nicht religiöse Menschen die Frage nach dem „Was dann? naheliegend. Johanns Weltbild war materialistisch und atheistisch geprägt. Vorstellungen einer Seelenwanderung oder einer Auferstehung lehnte sein logisch nüchterner Verstand ab. Und doch gibt es eine Antwort, mit der er sich wahrscheinlich hätte anfreunden können.

Diese Antwort lässt sich ableiten aus einem Gedicht des sowjetischen Dichters Jewgenij Jewtuschenko:

„Und wenn ein Mensch stirbt, dann stirbt mit ihm sein erster Schnee
und sein erster Kuss und sein erster Kampf... all das nimmt er mit sich.“

Intensive menschliche Erfahrungen also lässt der sterbende Mensch nicht einfach zurück, sondern - so der Dichter - „er nimmt es mit sich“ ….  Ist es da vermessen anzunehmen, dass auch eine starke Hingabe an eine gefühlte politische Berufung energetische Potenzen schafft, die analog zum Newton'schen Gesetz von der Unzerstörbarkeit von Energie nicht mehr ins Nichts fallen können? Fällt der Körper mit dem Tod eines Menschen als Basis der Ich-Zentrierung weg, so dämmern diese Energien hinein in ein pulsierendes Sein, dass sich ständig in Billiarden und Aberbilliarden von Formen neu als konkretes Leben hervortreibt. Ich halte es für einen vor jeder aufgeklärten Vernunft verantwortbaren Trost, darauf hoffen zu dürfen, dass Johanns kraftvolles Streben nach Solidarität, Gerechtigkeit, Freiheit und einem Frieden jenseits aller notwendig zu führenden Konflikte, irgendwie immer noch ist, gewandelt immer noch da ist.

Uns, seinen alternativ und politisch links gesinnten Mitaktivistinnen hat Johann ein Vermächtnis hinterlassen. In der Entschlossenheit seines politischen Wollens und in seiner Aktionskraft werden wir ihm nicht entsprechen können. Diese Einschränkung soll uns aber nicht daran hindern, uns nach diesem schmerzhaften Abschied wieder auf einen gemeinsamen Weg der Hoffnung zu machen: Zur Sonne! Zur Freiheit!

Franz Sölkner

Thal, am 05. 11. 2016