Wer - wie BetreuberInnen des EU-Austritts-VB - den Schulterschluss mit rechtsextremen deutschnationalen Kräften eingeht, torpediert das Ringen um ein demokratisches und unabhängiges Österreich. Wer die Unterordnung Österreichs unter die imperiale Machtpolitik Berlins durch die EUropäische Hintertür bekämpft, kann das nicht an der Seite jener tun, die dies wieder durch die deutschnationale Vordertür versuchen.


Die Solidarwerkstatt tritt für den Austritt Österreichs aus der EU, weil wir ein freies, solidarisches, neutrales und weltoffenes Österreich wollen. Beides hängt für uns unmittelbar zusammen: Erst der Austritt aus dem EU-Regime öffnet den Raum für einen Solidarstaat Österreich, der an den Errungenschaften der 2. Republik anknüpft, der Friedenspflicht des Neutralitätsgesetzes und dem antifaschistischen Verfassungsauftrag (Staatsvertrag, NS-Verbotsgesetz). Und umgekehrt: Erst eine solche emanzipatorische Perspektive kann eine soziale und politische Dynamik freisetzen, wo Fähigkeit und Wille zusammenfinden, sich von der EU, dem Europa der Konzerne und Generäle, zu befreien.

Auch die Machteliten wissen, dass Solidarstaat und EU-Austritt zwei Seiten einer Medaille sind. Eine der wichtigsten herrschaftlichen Strategien, besteht deshalb darin, diese beiden Seiten auseinanderzudividieren bzw. gegeneinander in Stellung zu bringen: So ist es für die Herrschenden einerseits leicht, soziale und gewerkschaftliche Proteste gegen den Neoliberalismus, die den Austritt aus dem EU-Konkurrenzregime tabuisieren, ins Leere laufen zu lassen. Andererseits ist ihnen eine EU-Opposition von rechtsaußen durchaus recht. Das nützt dem EU-Establishment mehrfach: Dadurch wird dieses Thema für fortschrittliche Kräfte weiter tabuisiert; die Solidarität der sozial Benachteiligten kann rassistisch aufgebrochen werden, indem auf die jeweils Schwächsten eingeschlagen wird. Und nicht zuletzt können rechtsextreme Kräfte leicht von einer vorgeblichen EU-Opposition in Richtung Befürwortung der reaktionärsten Strömungen des EU-Establishments umgepolt werden. Denn beide verbindet rassistischer Herrenmenschendünkel und abendländischer Überlegenheitswahn. Die Pegida auf der Straße und die Pegida im Nadelstreif können rasch zusammen finden.

Die FPÖ hat bislang dieses Ass im Ärmel der Mächtigen prächtig gespielt: In der Opposition gibt man sich EU-oppositionell, in der Regierung wird man zum hemmungslosen Einpeitscher der neoliberalen Vorgaben der EU-Kommission. In einer Phase, wo sich die FP-Führung offensichtlich auf eine weitere Regierungsbeteiligung vorbereitet und entsprechend ihre EU-Kritik zurückfährt, ist es für das Establishment daher wichtig, dass der Platz einer EU-Opposition von rechtsaußen nicht verwaist bleibt. Es ist bedauerlich, dass der Kreis jener, die ein EU-Austritts-Volksbegehren eingeleitet haben, für diese Herrschaftsstrategie offen ist. Zur Klarstellung: Wir kritisieren ausdrücklich nicht jene bürgerlich-demokratischen Kräfte, die für den EU-Austritt eintreten, weil sie erleben, wie nicht nur ArbeitnehmerInnen, sondern auch viele Selbständige, Bauern, Klein- und Mittelbetriebe unter die Räder des EU-Konkurrenzregimes geraten. Was wir kritisieren, ist, dass solche Kräfte den Schulterschluss mit Rechtextremen, Ethnonationalisten und Deutschnationalen bei diesem Volksbegehren eingegangen sind. Das ist ebenso unverständlich wie unverzeihlich. Wer für ein demokratisches und souveränes Österreich eintritt, kann und darf nicht gemeinsame Sache mit diesen Totengräbern von Demokratie und österreichischer Unabhängigkeit machen.

Es ist deshalb wohl kein Zufall, dass sich bei einigen Volksbegehrens-ProponentInnen die in rechtsextremen Kreise beliebte Pseudokritik findet, die EU sei ein „amerikanisches Projekt“, die EU-Staaten bloß „Vasallen der USA“. Anstelle von grundsätzlichem Antiimperialismus tritt vordergründiger Antiamerikanismus. Solche „Kritik“ wird in Brüssel und Berlin gerne gehört, sie ist Wasser auf die Mühlen dieser Machteliten, einen eigenständigen EU-Imperialismus unter deutscher Hegemonie weiter zu stärken. Spielend leicht kann eine solche „EU-Opposition“ in Richtung einer weiteren Militarisierung der EU umgelenkt werden. FP-Chefideologe Andreas Mölzer hat das bereits vorexerziert, wenn er dazu aufruft „Europa zu einer unabhängigen Weltmacht“ zu machen „mit einer starken europäischen Armee mit internationalen Eingreiftruppen“ (Europa im rechten Licht, Wien 2004).

Die Macht der deutschen Eliten ist infolge der Mechanismen des EU-Regimes (Binnenmarkt, Währungsunion) enorm gewachsen. Die FPÖ war die erste Partei, die sich für den EG/EU-Beitritt eingesetzt hat, weil sie darin die Chance sah, den Anschluss an Deutschland „durch die europäische Hintertür“ zu erreichen, um die ihnen verhasste 2. Republik mit Neutralitätsgesetz und Staatsvertrag „auf dem Misthaufen der Geschichte“ entsorgen zu können und anstelle „der neutralen Kleinstaaterei das neue Europa [zu schaffen], das an den alten Reichsgedanken anknüpft“ (Andreas Mölzer, in: Servus Österreich, Berg 1996). 20 Jahre nach dem Beitritt Österreichs sehen wir, dass dieser Prozess weit vorangeschritten ist: Große österreichische Betriebe sind unter die Kontrolle deutscher Kapitalgruppen gekommen, österreichische Militärs sind auf vielfältige Weise in deutsche Kommandostrukturen eingebunden, die österreichische Außenpolitik wagt kaum einen Schritt ohne Rückfrage in Berlin; wesentliche Bestandteile des Staatsvertrags, insbesondere diejenigen, die die militärische Kollaboration mit Deutschland und den Ausverkauf der Verstaatlichten an deutsches Kapital verbieten, wurden bereits im Vorfeld des EU-Beitritts von der Regierung für „obsolet“ erklärt. Wer den Schulterschluss mit rechtsextremen deutschnationalen Kräften eingeht, torpediert das Ringen um ein demokratisches und unabhängiges Österreich. Wer die Unterordnung Österreichs unter die imperiale Machtpolitik Berlins durch die EUropäische Hintertür bekämpft, kann das nicht an der Seite jener tun, die dies wieder durch die deutschnationale Vordertür versuchen.

Dass das EU-Austritts-Volksbegehren diese Trennlinie zu deutschnationalen, rechtsextremen Kräften nicht ziehen kann oder will, ist umso bedauerlicher, als es dem EU-Establishment die Möglichkeit gibt, den wirklichen Zusammenhang zwischen EU, Rechtsextremismus, Rassismus und Entdemokratisierung zu verschleiern, der in den letzten Jahren immer deutlicher zutage getreten ist:

  • Die EU ist ein Projekt für globale Vorherrschaft. Die EU-Eliten maßen sich an, Osteuropa, den afrikanischen Kontinent und die kaspische Region als ihren „Hinterhof“ zu betrachten, wo sie nach Belieben intervenieren können, um den EU-Konzernen Zugang zu Rohstoffen, Kapital- und Absatzmärkten zu verschaffen. Solche Interventionen laufen entweder direkt militärisch (sh. Jugoslawien, Libyen) bzw. durch die Unterstützung von Djihad-Gruppen (Syrien, Libyen) bzw. Neofaschisten (Ukraine).
  • An den Außengrenzen der „Festung Europa“ wird ein rigides, menschenverachtendes Grenzregime hochgezogen („Frontex“), dem bereits zehntauende Flüchtlinge zum Opfer gefallen sind. Nicht wenige mussten fliehen, weil ihnen die rabiate EU-Freihandelspolitik die soziale Existenzgrundlage raubt, oder westliche Großmächte Krieg in ihren Ländern angezettelt haben. Der Rechtsextremismus wird durch die EU systematisch gefördert, weil er für diese Anmaßung der Außenexpansion die entsprechende Herrenmenschen-Ideologie liefert.
  • Die EU zementiert ein neoliberales Konkurrenzregime ein, das immer mehr Menschen sozial ausgrenzt. Die Rechtsextremen werden dafür gebraucht, den  Zorn der Ausgegrenzten rassistisch gegen noch Schwächere zu kanalisieren, um zu verhindern, dass er sich gegen das System der Ausgrenzung richtet. Neoliberalismus und Rassismus gehen Hand in Hand. In allen EU-Staaten breiten sich rechtsextreme Strömungen aus. Auch in Österreich verläuft der Aufstieg des Rechtsextremismus parallel mit der Einbindung Österreichs in die EU.
  • Da die Strategie „den Sozialstaat zu einem Auslaufmodell zu machen“ (EZB-Chef Mario Draghi) auf demokratischen Weg kaum durchsetzbar ist, wird die EU immer stärker in Richtung einer autoritären Wirtschaftsdiktatur entwickelt. Verträge und Richtlinien entmündigen die gewählten Parlamente, die wirklichen Entscheidungen fallen in technokratischen Elitezirkel (Kommission, EZB, ESM) bzw. den Regierungen der großen Nationalstaaten, insbesondere Deutschlands. Dem Konzernlobbyismus ist auf diesen Ebenen Tür und Tor geöffnet.
  • Die EU wird zunehmend zum Transmissionsriemen für einen autoritären Überwachungsstaat. Gerade jetzt sind die EU-Innenminister dabei, ein umfassendes Paket zur Bespitzelung und Aushöhlung der Privatsphäre auf den Weg zu bringen. Die EU-Kommission hat angekündigt einen EU-Geheimdienst „nach dem Vorbild der NSA“ aufbauen zu wollen.

Dass sich im EU-Austrittsvolksbegehren Kräfte finden, mit denen Demokraten keine Allianzen schließen können, ist freilich auch Ausdruck des Versagens der fortschrittlichen Kräfte, die – ob in Parteien, Gewerkschaften oder NGOs – die Frage des EU-Austritts weitgehend tabuisieren. Sie haben damit beigetragen, dem neoliberalen Durchmarsch ebenso wie dem – aufhaltsamen – Aufstieg der extremen Rechten den Boden zu ebnen.

Wir sind daher der Überzeugung: Wer Rechtsextremismus, Rassismus und Demokratiezerstörung den Nährboden entziehen will, für den darf der EU-Austritt Österreichs kein Tabu sein. Und umgekehrt gilt: Ohne die Bekämpfung antidemokratischer, rechtsextremen, deutschnationaler und rassistischer Kräfte, kann es keinen Kampf um ein souveränes Österreich geben. „Wir fordern den Austritt aus der EU, nicht weil wir gegen völkerverbindende Integration sind, sondern weil wir wissen, dass die Erringung eines neutralen, solidarischen und weltoffenen Österreichs unabdingbare Voraussetzung dafür ist“ (Programm der Solidarwerkstatt).

Vorstand der Solidarwerkstatt
März 2015

siehe dazu auch:
Antwortschreiben an FJ Plank
Dossier zur den BetreiberInnen und UnterstützerInnen des EU-Austritts-VB