ImageDie Entscheidung der EU-Kommission, die Subventionierung des Atomkraftswerks Hinkley Point C zu genehmigen, ist ökonomisch wie ökologisch so widersinnig, dass sich die Frage stellt, ob es eine „versteckte Agenda” hinter der Entscheidung gibt.


Die Entscheidung der EU-Kommission, grünes Licht für die Subventionierung des britischen Atomkraftwerks Hinkley Point C zu geben, hat viele fassungslos gemacht. In der Tat widerspricht diese Entscheidung völlig der sonst so gern gepredigten EU-Doktrin des „unverfälschten Wettbewerbs“. Gebaut wird die Anlage, die ab 2023 ans Netz gehen soll, vom französischen Energieriesen EDF. Die Baukosten belaufen sich auf 31 Milliarden, die Gesamtkosten auf über 43 Milliarden Euro. Es wäre völlig unrentabel für die Betreiber, wenn nicht die britische Regierung EDF für 35 Jahre einen Abnahmepreis von umgerechnet 112 Euro je Megawattstunde Atomstrom garantieren würde. Das ist fast das Doppelte des aktuellen Marktpreises und eine doppelt so hohe Förderung für Atomstrom im Vergleich zur Windenergie. Der Garantiepreis ist sogar an die Inflation gekoppelt, steigt also automatisch Jahr für Jahr. Die staatliche Subvention wird auf rd. 19 Milliarden Euro Steuergelder geschätzt.

„Nationale Atomwaffenpotenziale in europäische Streitkräfte überführen“

Die Frage nach einer „versteckten Agenda“ drängt sich auf, wenn für solche wahnwitzigen Projekte so große Summen rausgeworfen werden. Jedenfalls müssen sehr große Interessen im Spiel sein. Über eine der größten wird in diesem Zusammenhang wenig gesprochen: Atomwaffen. Es ist bekannt, dass die zivile und militärische Nutzung der Atomenergie siamesische Zwillinge sind. Freilich kommt es dabei nicht unbedingt auf das eine AKW an, aber wesentlich ist es, die entsprechenden Industrien und Konzerne wie EDF mit Staatsgelder ökonomisch zu stärken, um den Kreislauf von ziviler und militärischer Nutzung am Laufen zu halten.

ImageGroßbritannien und Frankreich haben im Jahr 2010 einen Vertrag auf 50 Jahre abgeschlossen, der die gemeinsame Entwicklung und Erprobung von Atomwaffen zum Inhalt hat. Dass die EU-Kommission nun die atomaren Milliardensubventionen durchwinkt, könnte darauf hinweisen, dass ein seit langem, eher im Verborgenen gepflegtes Großziel wieder stärker in den Fokus gerückt wird: die EU-Atombombe als Teil einer gemeinsamen EU-Armee. Bereits im Jahr 2003 berichtete die Süddeutsche Zeitung über ein internes Papier des Führungsstabs der deutschen Bundeswehr, das die „Überführung nationaler Atomwaffenpotenziale einiger EU-Staaten in integrierte europäische Streitkräfte“ forderte („Ein Heer für Europa“, SZ, 29.4.2003). Damit erhielte auch Deutschland Zugriff auf Nuklearwaffen. Bekanntlich hat Deutschland den Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag unter dem Vorbehalt erklärt, dass dieser für die deutsche Teilnahme an einem europäischen Atomwaffenprojekt kein Hindernis darstellen dürfe.

„Ersteinsatz von Atomwaffen im Köcher der Eskalation“

Bald darauf war das deutsche Drängen auf EU-Ebene angekommen. In einem von den EU-Staatschefs in Auftrag gegebenen Strategiepapier (,European Defence Paper“) aus dem Jahr 2004 heißt es, dass die EU sich für „Regionalkriege zur Verteidigung europäischer Interessen“ rüsten müsse. Dabei sollen „die französischen und die britischen Atomwaffen explizit oder implizit einbezogen werden.“ Ein Jahr später wurde der EU-Stabilitätspakt reformiert. Dabei wurde Frankreich zugestanden, die Investitionen in die französischen (Atom-)streitkräfte aus den strengen Maastricht-Defizit rauszurechnen, da es sich um Ausgaben für die „Einigung Europas“ handle. 2006 deutete der damalige französische Präsident Chirac in einer aufsehenerregenden Rede am Atomwaffenstützpunkt Ile Longue die europäische Dimension der französischen Atomwaffen an, indem er mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen zur „Sicherstellung unserer strategischen Versorgung und der unserer Alliierten“ drohte. Die deutsche Kanzlerin Merkel sprang Chirac zur Seite und unterstützte dessen Atomkriegspläne als „eine den aktuellen Veränderungen in der Welt angepasste Doktrin“. Unter Merkel wurde die Forderung nach einer zentralisierten EU-Armee auch offizielles deutsches Regierungsprogramm.

„Grand Strategy“

Generäle sprechen Dinge oft deutlicher aus, als Politiker. 2007 veröffentlichten fünf hochrangige EU- und US-Generäle ein Strategiepapier, das USA und EU aufrief „den atomaren Erstschlag im Köcher der Eskalation zu belassen.“ Der Name des Strategiepapiers „Towards a Grand Strategy“ war inspirierend und namesgebend für die „Group on Grand Strategy“, ein Netzwerk von regierungsnahen Thinktanks auf EU-Ebene, das seit 2011 Druck für ein aggressives EU-Imperium macht, das eine „Grand Area“ beherrscht, die vom Nordpol bis Zentralafrika, von Atlantik bis hinter den Ural und die südasiatischen Küstengebiete reicht.  James Rogers, Direktor der „Group on Grand Strategy“ und einflussreicher geostrategischer Berater des Europäischen Rates, hat dafür eine knackige Formel gefunden: „Die Europäische Union muss ein Superstaat und eine Supernation werden, was sie dann wiederum in die Lage versetzt, eine Supermacht zu sein.“ Dafür benötige die EU „eine effektive Großstrategie und schiere Macht“. Schließlich gelte es, „ausländische Regierungen das Fürchten zu lehren und sie gegenüber europäischen Präferenzen aufgeschlossen zu machen.“ Solche Weltmachtsambitionen bauen klarerweise auf der Verfügung über Atomwaffen auf.

Im Vorjahr startete das Wilfried Maertens-Centre for European Studies, der Bildungseinrichtung der Europäischen Volkspartei, einen neuen Testballon in diese Richtung. Bei einem Symposium unter dem aussagekräftigen Titel „Rethinking the Bomb: Europe and Nucelar Weapons in the Twenty-First Century” wurde die Forderung nach Schaffung einer „EU-Agentur für Atomwaffenpolitik“ erhoben, um „gemeinsame EU-Positionen über den Einsatz von Atomwaffen“ zu entwickeln.

Zwei Großziele der Juncker-Kommission

Als es 2011 zum Supergau im japanischen AKW in Fukushima kam, dachten viele, dass nun der Einstieg in den Atomausstieg gekommen sei. Nicht die EU-Kommission. Wenige Monate nach Fukushima ging die EU-Kommission bereits wieder in die Atomoffensive und legte einen „Energiefahrplan 2050“ vor, der der nationalen Energiepolitik „ein europäisches Gerüst geben soll.“ Deklariertes Ziel: Ausbau der Atomenergie. So berichtet die Süddeutsche Zeitung über den EU-Fahrplan: „Unterhändlern zufolge sehen die Details der Szenarien den Neubau von 40 Kernkraftwerken allein bis 2030 vor. … Auch eine finanzielle Förderung der Atomenergie in Mitgliedsstaaten … hält die Kommission Unterhändlern zufolge für möglich. Sie könnte demnach Subventionen für Neuinvestitionen in Atomkraftwerke, zum Beispiel in Großbritannien, erlauben.“ Drei Jahre später ist es mit Hinkley Point C so weit. Das zeigt: Diese Entscheidung ist kein Ausrutscher, sie ist langfristig vorbereitet worden. Abgesichert und kofinanziert wird dieser Pro-Atom-Kurs durch den EURATOM-Vertrag, der – so die Präambel im EURATOM-Vertrag -  „die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie schaffen“ soll.

Die Entscheidung für Hinkley Point C traf zwar noch die alte EU-Kommission, doch auch der neue Energiekommissar und Vizepräsident Maros Sefcovic sprach sich im Hearing für die Subventionierung der Atomenergie aus. Der neue Kommissionspräsident Jean Claude Juncker hat angekündigt, die neue Kommission werde „die großen Dinge groß machen“. Eines dieser „großen Dinge“ nannte er bei seiner offiziellen Inauguration: die „Europäische Energieunion“. Ein anderes präsentierte Juncker schon etwas früher im Juni 2014 als Gastredner bei einem Kongress der deutschen Rüstungsindustrie: „Wir brauchen eine europäische Armee.“ Beide Projekte könnten viel miteinander zu tun haben und im Griff nach der EU-Atombombe ihren unausgesprochenen Fokus haben.

ImageEin Großziel der österreichischen Antiatombewegung

Über seine Mitgliedschaft bei EURATOM zahlt das Antiatomland Österreich nach Schätzungen von Umweltorganisationen über 100 Millionen Euro für die Subventionierung der EU-Atomlobby. 325 österreichische Gemeinden haben sich in Resolutionen bereits für „Raus aus Euratom!“ ausgesprochen. Nach Hinkley Point C gilt das mehr denn je!