eu soldat 150Ende Juni 2016 beschlossen die EU-Staats- und Regierungschefs eine neue EU-Globalstrategie. Im Zuge des Brexits und der US-Präsidentschaftswahlen hat diese neue EU-Globalstrategie medial wenig Beachtung gefunden. Dabei sind die Kernbotschaften dieser Globalstrategie ebenso bedeutsam wie alarmierend.

Zwei Kernbotschaften prägen diese EU-Globalstrategie:

„Schlagkräfte europäische Rüstungsindustrie“

Erstens: Die EU-Staatschefs haben sich mit dieser Globalstrategie darauf geeinigt, einen Militarisierungsschub einzuleiten. Bei allen sonstigen Streitigkeiten - diesen gemeinsamen Nenner finden sie offensichtlich immer noch. So heißt es in dieser Globalstrategie: „In Bezug auf militärische Spitzenfähigkeiten braucht Europa alle zentralen Kapazitäten, um auf äußere Krisen zu reagieren und Europa sicher zu machen, also das gesamte Spektrum der  Rüstungskapazitäten zu Land-, See, Luft und im Weltraum. […] Die EU wird die Zusammenarbeit in Verteidigungsangelegenheiten systematisch ermutigen und eine schlagkräftige europäische Rüstungsindustrie schaffen, die ausschlaggebend dafür ist, dass Europa eigenständig entscheiden und handeln kann." (1)

„Antriebsmotor bei Freihandel“

Zweitens: Die EU-Globalstrategie erklärt, wofür diese Rüstungsanstrengungen unternommen werden sollen: Alles in dieser Globalstrategie dreht sich um die Sicherstellung „offener Märkte“ und „offener Schifffahrtsrouten“ sowie „Zugang zu natürlichen Rohstoffen“. So heißt es wörtlich:

„Als die größte Ökonomie der Welt ist die EU ein Antriebsmotor bei Freihandel und Investitionen. […] Die EU wird eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) mit den Vereinigten Staaten anstreben. Ebenso wie das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen (CETA) mit Kanada bezeugt TTIP das transatlantische Bekenntnis zu gemeinsamen Werten und zeigt unsere Bereitschaft, eine ehrgeizige und geregelte Handelsagenda zu verfolgen. […] Wir streben Freihandelsabkommen mit den USA, Japan, Mercosur, Indien, ASEAN und anderen an, um Blöcke des globalen Freihandels zu errichten. […] Eine neue Generation von Handelsvereinbarungen, die Dienstleistungen, die digitale Wirtschaft, Energie und Rohstoffe einschließt, soll die gesetzlichen Fragmentierungen und Hürden beseitigen und den Zugang zu natürlichen Rohstoffen regulieren.“ (1)

Letzteres zielt offensichtlich auf die derzeit stattfindenden TiSA-Verhandlungen ab. TiSA ist im Gegensatz zu TTIP und CETA ein multilaterales Abkommen, an dem insgesamt 50 Staaten beteiligt sind, also die USA, die Europäische Union (somit auch Österreich) und 21 weitere Staaten: Australien, Chile, Chinesisch-Taipeh, Costa Rica, Hongkong, Island, Israel, Japan, Kanada, Kolumbien, (Süd)Korea, Liechtenstein, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru, Schweiz und Türkei. Diese repräsentieren mehr als zwei Drittel des globalen Handels mit Dienstleistungen. Die EU-Kommission erweist sich bei den TiSA-Verhandlungen als „Antriebsmotor“ der Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, um den in diesem Bereich besonders starken EU-Konzernen globalen Zugriff auf so sensible Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Wasserversorgung, Energie, Finanzdienstleistungen usw. zu verschaffen.

"Große Seestreitmacht im indo-pazifischen Raum"

Diese rabiate Freihandelsagenda hängt freilich in hohem Maß von der militärischen Kontrolle über die See- und Schifffahrtsrouten ab. Die diesbezüglichen Ambitionen klingen in der EU-Globalstrategie deutlich an: „Die EU wird zur globalen Sicherheit auf den Weltmeeren beitragen und dabei auf ihrer Erfahrung im Indischen Ozean und im Mittelmeer aufbauen, und die Möglichkeiten im Golf von Guinea, im südchinesischen Meer und der Straße von Malacca erkunden.“ (1) In einem EU-Strategiepapier, das der Vorbereitung des EU-Gipfels Ende Dezember 2013 diente, wurde bereits „die Entsendung einer großen Seestreitmacht in den indo-pazifischen Raum“ (2) in 10.000 km Entfernung vom „Homeland“ angedacht, um „den Aufstieg und die Expansion eines großen mächtigen Landes in Ostasien“ militärisch entgegenzutreten.

Frontex 2.0

Seit der Verabschiedung dieser EU-Globalstrategie wird an der Umsetzung der nächsten Aufrüstungsschritte emsig gearbeitet. Bereits im Oktober 2016 beschloss die EU die weitere Militarisierung der EU-Außengrenzen. Die Grenzschutzagentur Frontex wird nicht nur aufgerüstet, sondern bekommt auch zusätzliche Befugnisse. So kann nun erstmals mit EU-Mehrheitsentscheidungen gegen den Willen eines Mitgliedsstaates in dessen Grenzsicherung und Asylpolitik eingegriffen werden. Weigert sich ein Mitgliedsstaat diese EU-Beschlüsse umzusetzen, kann dieser für zwei Jahre aus dem Schengenraum ausgeschlossen werden. Statt sich an der Leitlinie „Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge!“ zu orientieren, zielt diese EU-Politik auf das genaue Gegenteil: Flüchtlinge bekämpfen, um weiterhin Fluchtursachen - Waffenexport, Krieg, Freihandel - schüren und von diesen profitieren zu können, ohne von deren Folgen behelligt zu werden.

EU-Armee durch die Hintertür

Weitere Schritte der Militarisierung wurden beim EU-Rat im Oktober und beim EU-Gipfel Dezember 2016 auf Schienen gebracht bzw. sollen im Laufe des heurigen Jahres konkretisiert werden. Sie dienen dazu, mehr Geld in die Rüstung zu lenken, die EU-Battlegroups bald zum Einsatz zu bringen und die EU-Sicherheits- und Militärpolitik zu zentralisieren:

   - Schaffung eines 500 Millionen Euro-Fonds für Rüstungsforschung (das bedeutet ein Plus von 25% gegenüber dem derzeitigen Niveau Rüstungsforschung der EU-Mitgliedsstaaten).

   - Einrichtung eines EU-Rüstungsfonds für „Entwicklung gemeinsamer militärischer Kapazitäten“ in strategischen Bereichen (zB Drohnen, Luftbetankung, Kampfhubschrauber, Kriegsschiffe,…). 5 Milliarden Euro sollen dafür locker gemacht werden (das entspricht einem Plus von 14% gegenüber den derzeitigen Ausgaben der EU-Mitgliedsstaaten für Rüstungsbeschaffung).

   - Liberalisierung des EU-Rüstungsmarktes, um EU-Champions im Bereich der Kriegswaffenindustrie zu fördern

   - Stärkung der EU-Battlegroups, z.B. durch Erweiterung um See- und Luftstreitkräfte; Drängen auf Ersteinsatz der Battlegroups. Schaffung eines militärischen Hauptquartiers in Brüssel, um Einsätze dieser EU-Schlachtgruppen unter einem zentralen EU-Kommando durchführen zu können.

   - Einrichtung einer „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (SSZ), also eines militärischen Kerneuropa, wo jene EU-Staaten einen inneren EU-Führungskern etablieren, die "anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeien erfüllen“ (Art. 42, EU-Vertrag). Diese SSZ.ermöglicht die Aushebelung des derzeit noch geltenden Einstimmigkeitsprinzips in der EU-Sicherheitspolitik. Denn sowohl über den Einlass in die SSZ als auch über den Rausschmiss aus der SSZ kann – laut dem Vertrag von Lissabon – mit Mehrheit entschieden werden. Die SSZ ermöglicht damit einer schrittweisen Einführung einer EU-Armee durch die Hintertür.

Zwei Seiten einer Medaille

Neoliberaler Freihandel hat nichts mit Kooperation auf Augenhöhe und zum gegenseitigen Vorteil zu tun. Freihandel bedeutet, dass ein „ebenes Spielfeld“ für wirtschaftlich höchst ungleiche Kontrahenten erzwungen wird. Das raubt den Schwächeren die Möglichkeit, ihrer Märkte, Unternehmen und sozialen Standards gegen übermächtige Konkurrenz zu schützen. Freihandel stärkt die ohnehin Starken und schwächt die Schwachen noch weiter. Das gilt sowohl zwischen den Staaten und Volkswirtschaften als auch innerhalb dieser, wo die großen Konzerne noch mehr Macht gegenüber ArbeitnehmerInnen und Klein- und Mittleren Unternehmen bekommen. Dieses Freihandelsregime verschärft die Ungleichheit. Der Widerstand gegen die Zumutungen dieses Unfairhandels soll nicht zuletzt mit militärischen Mitteln gebrochen werden. Das ist der Kerngehalt der EU-Globalstrategie. Freihandel und Militarisierung sind zwei Seiten einer Medaille. Beidem müssen wir entgegentreten, wenn wir eine lebenswerte Zukunft haben wollen.

Gerald Oberansmayr
(Jänner 2017)

Quellen:
(1) Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Europa. Eine Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, Brüssel, 28.06.2016

 

(2) EU-Agentur Institut für Sicherheitsstudien (EU-ISS); „Die Zukunft ermöglichen – Europäische Militärkapazitäten 2013-2025: Herausforderungen und Wege“, Paris 2013

 

Kampagnen gegen Freihandel und Aufrüstung unterstützen!

23.-30.1.2017: Volksbegehren gegen TTIP, CETA, TiSA
http://www.solidarwerkstatt.at/index.php?option=com_content&view=article&id=1606:23-bis-30-jaenner-2017-volksbegehren-gegen-ttip-ceta-tisa-unterschreiben&catid=43&Itemid=86

Offener Brief: EU-Battlegroups - NICHT IN UNSEREM NAMEN!
http://www.solidarwerkstatt.at/index.php?option=com_content&view=article&id=1469:offener-brief-eu-battlegroups-nicht-in-unserem-namen&catid=62&Itemid=89